Moïse Mbimbe, Gründer der Initiative „Young Friends of the Treaty (YouFT)“, verurteilt die Macht der Unternehmen in Verhandlungen über ihre eigenen Verpflichtungen.
Im Globalen Norden stehen viele den Diskussionen rund um die stärkere Einbeziehung des Faktors „Mensch“ in Wirtschaftsfragen sehr positiv gegenüber. Wie sehen das Vertreter:innen aus Ländern des Globalen Südens?
Die Wahrnehmung von Bürger:innen des Globalen Südens ist, dass die europäischen Staaten es vermeiden, ein internationales System zu schaffen, das ihre Firmen in Sachen Menschenrechte zur Verantwortung zieht. Die Position von Regierungen europäischer Staaten ist paradox: In internationalen Debatten bestehen sie darauf, dass nicht bindende Maßnahmen ausreichen, um die Einhaltung von Menschenrechten durch Firmen zu garantieren. Andererseits erlassen sie immer stärkere heimische Gesetze, um ihre Bürger:innen vor Missbräuchen durch dieselben Firmen zu schützen.
Auf UN-Ebene tauschen sich die Staaten u. a. in einer Arbeitsgruppe aus, die dafür zuständig ist, internationale, rechtlich bindende Instrumente für die Aktivitäten von transnationalen Unternehmen in Hinblick auf Menschenrechte zu schaffen. Wie läuft es da?
Die Beratungen bringen nur „kleine Fische“ hervor, weil sie von westlichen Staaten blockiert werden. Darunter auch ganz prominent von europäischen Staaten.
Moïse Mbimbe kämpft in Kamerun für Land- und Umweltrechte, unterstützt u. a. lokale Gemeinschaften und indigene Völker.
2019 hat er die Bewegung „Young Friends of the Treaty (YouFT)“ gestartet, die jungen Menschen auf der ganzen Welt als Sprachrohr dienen soll.
Werden diese Diskurse durch wirtschaftliche und politische Machtstrukturen verzerrt?
Der Prozess wird ganz klar durch Unternehmen bestimmt. Westliche Staaten sind entschlossen, die Interessen ihrer Firmen zu schützen, trotz der vielen Menschenrechtsverletzungen, für die diese täglich verantwortlich zeichnen. Vor allem im Globalen Süden, wo sie viele natürliche Ressourcen ausbeuten. Und dennoch werden diese Debatten weiter von diesen Unternehmen dominiert.
Auch bei den Verhandlungen auf UN-Ebene zu einem Vertrag zu Wirtschaft und Menschenrechten sind Unternehmen in die Verhandlungen eingebunden. Ist das ein Problem?
Die Anwesenheit von Unternehmen an den Verhandlungstischen führt nur dazu, dass der Inhalt der Vertragsbestimmungen geschwächt wird. Darüber hinaus verstärkt der Umstand, dass Staaten für die Finanzierung des Prozesses Gelder von multinationalen Konzernen einsetzen, den Unternehmenszugriff.
So geschehen etwa bei Konferenzen zum Klimawandel, wo über die Auswirkungen der Handlungsweise dieser Unternehmen und mögliche Lösungen diskutiert wird. In der Folge verkommt die wichtige Beteiligung einiger Vertreter:innen von sozialen Bewegungen bei solchen Konferenzen eher zur Anekdote.
Sind die aktuellen Verhandlungsprozesse rund um Wirtschaft und Menschenrechte noch immer Teil kolonialistischen Denkens?
Tatsächlich kann man den Wunsch von Seiten der europäischen Regierungen sehen, ihre politische und wirtschaftliche Dominanz über Staaten des Globalen Südens aufrechtzuerhalten. Die Präsenz ihrer Unternehmen im Globalen Süden, vor allem in Afrika, erlaubt es ihnen, die herrschenden Regime zu kontrollieren, die sie dann willkürlich aufbauen oder zerstören können.
Wenn ein Staat im Globalen Süden, in dem solche Unternehmen tätig sind, sich Sanktionen gegen europäische Unternehmen auf Grund von Menschenrechtsverletzungen überlegt, zieht er sich wahrscheinlich den Zorn der entsprechenden europäischen Mächte zu. Das kann von Treibstoff-Kämpfen und wirtschaftlichen Sanktionen bis hin zur Unterstützung von Staatsstreichen reichen.
Inwieweit haben die Krisen der vergangenen Jahre (Finanzwelt, COVID-19 etc.) den Glauben an den Neoliberalismus weiter geschwächt bzw. den Ruf nach einer Veränderung gestärkt?
Die Krisen in den Sektoren Finanz sowie in den Gesundheits- und Sozialsystemen haben sehr wirkungsvoll die Grenzen eines neoliberalen und kapitalistischen Systems aufgezeigt, das die Menschen in den Hintergrund gedrängt hat.
Der Enthusiasmus vieler Menschen, Maßnahmen und Gesetze zur Vermenschlichung wirtschaftlicher Aktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene zu verhandeln, zeigt wie sehr sie einen Paradigmenwechsel wollen; ein Ende des Landraubs, der Verschmutzung und anderer Formen von Verstößen. Sie wollen ein Ende der Bereicherung einer kleinen Minderheit auf Kosten der großen Mehrheit, ein Ende der Bereicherung der Reichsten mit den Ressourcen der Ärmsten. Sie verlangen einfach eine gerechtere Gesellschaft.
Interview: Barbara Ottawa
Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!
Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.
Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.
Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!
Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.